Gesundheitsbezogenes Self-Tracking und Selbstvertrauen

SUSANNE HIEKEL, UNIVERSITÄT MÜNSTER

Zusammenfassung: Gesundheitsbezogenes Self-Tracking ist ein weit verbreitetes Phänomen, das Chancen hat, aber auch bestimmte Gefährdungen mit sich bringt. Eine dieser Gefährdungen ist es, dass diese Praxis, die vielfach mit der Motivation betrieben wird, präventiv etwas Nützliches für die eigene Gesundheit zu tun bzw. Krankheiten zu managen oder zu vermeiden, negative Auswirkungen auf das Selbstverständnis, das Selbstbild der sich selbst trackenden Personen haben kann. Wenn Self-Tracking kontrollierend eingesetzt wird, ist es als Ausdruck mangelnden Selbstvertrauens bei der Verfolgung gesundheitsbezogener Ziele aufzufassen. Zudem arbeitet es sehr häufig mit Mechanismen, die zusätzlich Selbstvertrauen unterminierende Wirkung entfalten können. Um diese These zu untermauern, wird Selbstvertrauen unter Rückbezug zu Überlegungen zum interpersonalen Vertrauen als eine Relation ausgewiesen, die durch epistemische Unsicherheit, eine gewisse Beharrlichkeit und eine vertrauensspezifisch-relationale Komponente gekennzeichnet ist. Es wird gezeigt, dass kontrollierend wirkendes Self-Tracking diesen für das Selbstvertrauen charakteristischen Merkmalen entgegensteht.

Schlagwörter: Self-Tracking, Gesundheit, Vertrauen, Selbstvertrauen, Manipulation, Kontrolle

Abstract: Health-related self-tracking is a widespread phenomenon that offers both: opportunities and risks. One of these risks is that the practice, often motivated by the desire to do something useful for one's health or to manage or avoid illness, can have a negative impact on the self-image of the person tracking herself. When used in a controlling way, tracking yourself via digital devices is a sign of lacking self-trust pursuing health-related goals. In addition, self-tracking often works with mechanisms that can further undermine self-trust. To substantiate this thesis, ‘self-trust’ is characterised with reference to considerations on interpersonal trust. Self-trust is identified as a relation characterised by epistemic uncertainty, a certain persistence, and a trust-specific relational component. It is shown that self-tracking used in a controlling manner runs counter to these characteristics of self-trust.

Key Words: Self-Tracking, Health, Trust, Self-Trust, Manipulation, Control

1 Einleitung

Wir erheben immer häufiger gesundheitsbezogene Daten von uns selbst. Für viele Menschen hat diese Praxis Einzug in die alltägliche Lebenswelt genommen. Durch digitale Devices, die als Wearables direkt am Körper getragen werden oder über Smartphones, die unsere ständigen Begleiter geworden sind, werden vitale Parameter (Herzfrequenz, Blutdruck oder Atemfrequenz, Zyklusdaten, Gewicht, Kalorien, das Aktivitätsniveau, Schlafverhalten etc.) gemessen, festgehalten, aufbereitet und über bestimmte integrierte Modelle interpretiert. Teils werden Messdaten auch mit einer Feedback-Reaktion verbunden. Daten werden als normal oder als von einer Norm abweichend ausgewiesen und evtl. auch mit einer Aufforderung versehen, etwas zu tun, damit man in den Normbereich kommt. Das allgemeine Phänomen, das noch über rein gesundheitsbezogene Datenermittlung hinausgehen kann, ist als Self-Tracking bekannt.

„[It] involves practices in which people knowingly and purposively collect information about themselves, which they then review and consider in their lives“ (Lupton 2016: 2).1

Diese Praxis, die vielfach mit der Motivation betrieben wird, präventiv etwas Nützliches für die eigene Gesundheit zu tun bzw. Krankheiten zu managen oder zu vermeiden, kann – so meine These – Auswirkungen auf das Selbstverständnis, das Selbstbild der sich selbst trackenden Personen haben. Personen zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie in ein Verhältnis zu sich selbst treten können, und sie können sich in verschiedenen Kontexten in ein Verhältnis zu eben diesem Selbstverhältnis setzen (Rojek 2020: 151). Manches im Leben einer Person stellt eine Herausforderung für ein solches Selbstverhältnis dar. So kann z. B. eine Diagnosestellung, sogar wenn eine Erkrankung noch keine Symptome zeigt (Vogt et al. 2016) eine solche Herausforderung darstellen. Vogt und Mitarbeiter*innen (2016: 307) identifizieren in der sogenannten ‚P4-Medizin‘ (predictive, preventive, personalized, participatory) – wozu das gesundheitsbezogene Self-Tracking auch zu zählen ist – insgesamt die Gefahr einer „medicalization of health and life itself“, also etwas, das sich auf das menschliche Selbst- und vielleicht sogar auch auf das Menschenbild auswirkt. Diese Auswirkungen, Herausforderungen und/oder Gefährdungen gilt es, genauer in den Blick zu bekommen.

Im Folgenden wird ein ganz spezielles Selbstverhältnis fokussiert, das spezifisch durch die Praxis des Self-Trackens herausgefordert wird: das des Selbstvertrauens. Selbstvertrauen zu haben, ist für die meisten Personen ein wichtiger Eckpfeiler zufriedenen und guten Lebens. Es befördert die Verfolgung eigener Ziele und Pläne, was besonders deutlich wird, wenn man sich die Zerrissenheit von Personen mit mangelndem Selbstvertrauen vor Augen führt. Es „sind Menschen, die sich selbst nichts zutrauen. Vor ein Problem gestellt, scheinen sie unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Welche Wahl sie auch bedenken, immer haben sie das Gefühl, eine andere könnte besser sein“ (Lahno 2002 :334). Das verdeutlicht auch, dass Selbstvertrauen zu besitzen einem autonomen Leben zuträglich ist (Govier 1993), bedeutet es doch, dass, wenn man Selbstvertrauen besitzt, die Selbstbestimmung gewissermaßen ‚leicht von der Hand geht‘. Selbstvertrauen zu haben ist wohl für die meisten aus subjektiver Perspektive ein wertvoller Aspekt der eigenen Existenz, transindividuell ist es ebenfalls wertvoll, weil es Autonomie befördert.2 Wer sich selbst vertraut, dem fällt es leicht, sein eigenes Leben zu bestimmen.

„To put the matter simply, without self-trust a person cannot think and decide for himself or herself and therefore cannot function as an autonomous being” (Govier 1993: 112).

Ohne jegliches Selbstvertrauen fehlt jemandem die Steuerungsfähigkeit.

Ich werde dafür argumentieren, dass (kontrollierendes) Self-Tracking und Vertrauen in sich selbst zu haben nicht gut Hand in Hand gehen – dass Self-Tracking Selbstvertrauen unterminierend wirken kann.3 Um das aufzuzeigen, wird zunächst kurz auf das Phänomen des Self-Trackings eingegangen, um charakteristische Merkmale herauszuarbeiten. Der Bezug zum Selbstvertrauen wird dann über einen Zwischenschritt hergestellt. Es werden zunächst wesentliche Kennzeichen interpersonalen Vertrauens vorgelegt, um dann aufzuzeigen, dass sich diese auch auf den intrapersonalen Bereich übertragen lassen. Es wird sich zeigen, dass Selbstvertrauen wie interpersonales Vertrauen als eine Relation ausgewiesen werden kann, die durch epistemische Unsicherheit, eine gewisse Beharrlichkeit und eine vertrauensspezifisch-relationale Komponente gekennzeichnet ist. Es wird dann beleuchtet, wie diese komplexe selbstbezügliche Relation durch kontrollierendes Self-Tracking untergraben wird. Das gesundheitsbezogene Self-Tracking mag häufig einen Nutzen in krankheitspräventiver Hinsicht haben. Es ist aber möglich, dass eine Beeinträchtigung des Selbstvertrauens einen solchen Nutzen überwiegt. In rein präventiven Kontexten ist angesichts dieser Gefahr zu überlegen, ob es klug ist, diese Praxis zu betreiben oder weiter aufrecht zu erhalten. In krankheitsbezogenen Tracking-Aktivitäten werden diese Kosten vermutlich durch den Nutzen im Krankheitsmanagement aufgewogen, sind aber dennoch als zusätzliche psychische Kosten, die eine Erkrankung mit sich bringen kann, zu verbuchen.

2 Self-Tracking

Informationen, die die eigene Existenz betreffen, zu sammeln und zu reflektieren, ist kein neues Phänomen. Seit langem gehört beispielsweise das Führen von Tagebüchern zum alltäglichen Leben vieler Menschen. Neu ist allerdings, dass in der Welt des Digitalen die Praxis, Informationen zur eigenen Person zu sammeln, ubiquitär verbreitet und allgegenwärtig ist, sowie gewissermaßen unbemerkt und bequem vonstattengeht (Conradie und Nagel 2022: 1). Neu ist auch, dass die eigenen erhobenen Daten zwar von einer Person selbst – vermittelt über digitale Geräte – gesammelt werden, aber nicht nur dieser Person zugänglich sind (Lanzing 2016). Die ermittelten Daten werden vielfach in Clouds hochgeladen und sind teils dem Hersteller der Geräte/der Software zugänglich und können so weiterverarbeitet werden. Vielfach wird auch beworben, die Daten in Gruppen Gleichgesinnter zu teilen. Das ist etwas, das wettbewerbsähnliche Züge annehmen kann. Das Self-Tracken ist zudem häufig mit Reaktionen der Devices verbunden. Die Ermittlung von Daten ist dann mit bestimmten positiven und/oder negativen Rückmeldungen versehen und es gibt Aufforderungen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen (z. B. erfährt man eine positive Verstärkung, wenn man ein bestimmtes gesundheitsbezogenes Ziel erreicht hat, bzw. man wird animiert, einem solchen Ziel näher zu kommen). Das bezeichnet Baker (2020: 1479) als die präskriptive Qualität der Self-Tracking Devices. Das Self-Tracking tritt spätestens mit diesen evaluativen und präskriptiven Aspekten in den Bereich, in den der Einfluss einen kontrollierend manipulierenden4 Effekt mit sich bringen kann. Vielfach ist es so, dass selbst trackende Personen sich unter die Kontrolle der Devices begeben, um ein bestimmtes Ziel (Wissen über sich selbst, bestimmte gesundheitsbezogene Ziele) zu erreichen. Obwohl die Erreichung eigener Ziele damit eine Unterstützung findet, nimmt man damit doch etwas in Kauf, nämlich – so ist hier die These – dass dadurch Vertrauen in sich selbst torpediert wird. Was ist aber Vertrauen?

3 Vertrauen

Die philosophische Beschäftigung mit dem Phänomen des Vertrauens wird spätestens seitdem Annette Baier 1986 dazu mit dem Artikel Trust and Antitrust einen einflussreichen Aufschlag gemacht hat, in der Philosophie hochdifferenziert geführt. Sowohl deskriptiv als auch normativ – als Phänomen des menschlichen Miteinanders als auch als Wert, den es beispielsweise in der Medizin zu erhalten gilt –, ist Vertrauen (spätestens) seitdem Gegenstand intensiver philosophischer Untersuchungen. Wenn es im Folgenden um Vertrauen geht, sollen zentrale Merkmale des komplexen Phänomens Vertrauen herausgearbeitet werden, in der Annahme, dass sich diese auf das Selbstvertrauen beziehen lassen werden.

Folgende Merkmale werden im Allgemeinen für Vertrauen im Sinne von ‚A vertraut B‘5 als charakteristisch aufgefasst:6

1) Es ist epistemische Unsicherheit damit verbunden.

2) Es weist eine gewisse Beharrlichkeit auf.

3) Es beinhaltet eine spezielle vertrauensspezifische relational Komponente.

1) Epistemische Unsicherheit:

Es ist nicht sinnvoll, von Vertrauen zu sprechen, wenn eine hundertprozentige Sicherheit besteht, dass ein bestimmter Sachverhalt besteht oder eintreten wird. Wenn B gar nicht anders handeln kann als so, wie er/sie es tut, oder man mit 100-prozentiger Sicherheit wüsste, dass B auf eine bestimmte Weise agieren wird, dann würde das nicht mit Vertrauen, sondern mit Wissen oder Gewissheit in Verbindung gebracht werden. Man würde dann nicht sagen, dass A dem/der B vertraut, sondern man würde sagen, dass A sicher ist oder weiß, dass B etwas tun wird. Epistemische Gewissheit und Vertrauen schließen sich gewissermaßen aus (Budnik 2023: 47). Vertraut man jemandem, so besteht eine gewisse Unsicherheit, was das Vertrauensobjekt anbelangt.

Kurios erscheint hier vielleicht, dass sich ein Vertrauenssubjekt – obwohl diese epistemische Unsicherheit besteht – dennoch sehr sicher sein kann, dass das Vertrauensobjekt auf eine bestimmte Weise agieren wird. Das ist allerdings nicht als widersprüchlich anzusehen. Denn es kann gleichzeitig eine gefühlte Sicherheit bei prinzipieller epistemischer, dem Vertrauenssubjekt bewussten Unsicherheit bestehen. Man kann sich beispielsweise beim Werfen einer Roulette-Kugel sehr sicher sein, dass man mit dem Setzen auf die Zwei gewinnen wird, dennoch ist das eine Entscheidung unter der Bedingung der Unsicherheit. Ein Roulette-Spieler ist sich der Kontingenz des Kugelverlaufs normalerweise durchaus bewusst und kann dennoch Siegessicherheit verspüren.

Dass epistemische Unsicherheit ein Charakteristikum von Vertrauen darstellt, bringt es mit sich, dass die Ausübung von Kontrolle auf Seiten von A in der Absicht, dass B ein gewünschtes Verhalten aufweisen wird, die Vertrauensbeziehung unterminieren wird. Je mehr und effektiver Kontrolle ausgeübt wird, desto gewisser ist A, dass B bestimmte Handlungen ausführen wird und ein möglicher Vertrauensbruch wird immer weiter ausgeschlossen. Wenn A den/die B zwingt oder auf kontrollierende Weise manipuliert, etwas zu tun, dann ist es nicht sinnvoll, davon zu sprechen, dass A dem/der B vertraut. Vertrauen in jemanden zu haben, bedeutet gerade, dass man auf Kontrolle verzichten kann. Vielmehr gesteht man dem Vertrauensobjekt einen Spielraum zu: „trust centrally involves a preparedness to grant a certain power or control. In trusting, we grant discretion, whether to act, or to judge, or even just to feel” (Domenicucci und Holton 2017: 151; vgl. auch Baier 1986: 237ff). Zwingt man jemanden, dann gibt es keinen Spielraum mehr, manipuliert man jemanden, dann wird in die Wahrnehmung eines Spielraums steuernd eingegriffen. Vertraut aber A dem/der B, dann besteht ein Spielraum, den B handelnd, urteilend oder auch fühlend bekommt. Dies akzeptierend macht sich A allerdings auch verwundbar.7 Das ist Teil dessen, was Baier (1986: 235) als akzeptierte Verletzlichkeit (accepted vulnerablity) bezeichnet.

2) Spezielle Beharrlichkeit:

Besteht Vertrauen, dann wird dieser Ermessensspielraum auch dann noch gewährt, wenn eigentlich Hinweise darauf bestehen, dass die betreffende Person doch nicht vertrauenswürdig ist. Vertraut man jemandem, dann heißt das, dass man in gewissem Umfang widerständig gegen Evidenzen ist, die nahelegen, dass man sich im Vertrauensobjekt irren könnte. Wenn Anton Berta vertraut, aber Hinweise vorliegen, dass Berta ihn mit Theo betrügen könnte, dann werden diese Hinweise – solange Anton Berta vertraut – die Einstellung Antons gegenüber Berta nicht ändern. Er wird die Hinweise nicht neutral betrachten, sondern im Lichte seiner Vertrauensbeziehung, in der er zu Berta steht.

Jones (1996) fasst so eine optimistische Einstellung dem Vertrauensobjekt gegenüber als wesentliches Merkmal von Vertrauensbeziehungen auf, die das Vertrauenssubjekt aber wiederum auch vulnerabel macht. Sie vergleicht diese optimistische Haltung mit einer Sicht, die verengt, oder vielleicht kann man auch sagen, eingefärbt ist (Jones 1996: 12). Dadurch, dass Vertrauen besteht, wird kritische Reflexion über einen Sachverhalt in eine bestimmte Richtung gelenkt oder vielleicht sogar ausgesetzt. Zur Verfügung stehende Informationen werden im Lichte des Vertrauens, das besteht, interpretiert (Lahno 2020: 151). So ist Vertrauen zu haben aber auch mit dem Risiko für das Vertrauenssubjekt verbunden, dass das Vertrauen ausgenutzt werden kann, denn eine kritische Auseinandersetzung mit den Motiven oder der Person des Vertrauens ist zurückgestellt.

3) Relationale Komponente:

Vertrauen findet man in Interaktionen von Personen: es ist ein interpersonal-relationales Phänomen der Form ‚A vertraut B‘. Häufig wird in Theorien des Vertrauens die Rolle des Vertrauenssubjekts fokussiert, indem beispielsweise gefragt wird, welche affektive, kognitive oder praktische Einstellung A aufweisen muss, damit man von Vertrauen sprechen kann. Das bedeutet aber nicht, dass das Vertrauensobjekt keinerlei Bedingungen erfüllen muss. Damit man in einer Beziehung zwischen A und B von Vertrauen sprechen kann, müssen Instanzen beider Relata bestimmte Bedingungen erfüllen.

Nicht zu bezweifeln ist, dass das Vertrauenssubjekt A eine bestimmte Einstellung gegenüber B aufweisen muss. Welcher Art genau diese Einstellung ist, wird in der philosophischen Vertrauensdebatte kontrovers diskutiert. Größtenteils unkontrovers ist aber, dass die Haltung sich von der eines bloßen Sich-Verlassens auf etwas oder jemanden unterscheidet. Ein bloßes Sich-Verlassen beruht darauf, dass bestimmte Verhaltensregelmäßigkeiten des Objektes des Sich-Verlassens zum Anlass genommen werden, das eigene Agieren zu organisieren. Wenn A sich auf B bloß verlässt, dann geht das mit einer bloß prädiktiven Erwartung von A gegenüber B einher. Verlassen kann man sich hier auf vielerlei wie beispielsweise das Verhalten von Personen, von Geräten, Umweltbedingungen, Institutionen etc. Beim Vertrauen ist jedenfalls mehr und/oder eine andere als eine bloß prädiktive Erwartungshaltung zu unterstellen.

Affektbasierte Positionen liegen wohl richtig damit, dass das Vertrauenssubjekt eine positiv emotional gefärbte Haltung gegenüber dem Vertrauensobjekt einnimmt. Das ist ein Unterscheidungsmerkmal, das Vertrauen von einem bloßen Sich-Verlassen abgrenzt. Wenn man sich auf jemanden oder etwas verlässt, dann geht dies üblicherweise nicht mit einer emotional gefärbten Haltung gegenüber dem Objekt des Sich-Verlassens einher – außer vielleicht in einem instrumentellen Sinn. Beim Vertrauen hingegen ist das Vertrauensobjekt jenseits seines bloß instrumentellen Wertes bei der Verfolgung der Ziele des Vertrauenssubjektes sowie auch die Beziehung selbst positiv besetzt – man wertschätzt diejenigen, denen man vertraut und man wertschätzt es, sich in einer Vertrauensbeziehung zu befinden.8 Durch eine solche emotionale Komponente des Vertrauens kann auch die spezifische Beharrlichkeit von Vertrauen erklärt werden, denn Emotionen können so verstanden werden, dass sie die Wahrnehmung lenken (Lahno 2001):

„Affective attitudes, like emotions more generally, function as biasing devices. They do this by shaping both cognition and motivation and so re-arranging action-options in a hierarchy of salient possibilities” (Jones 2019: 958).9

Die emotional gefärbte Haltung scheint aber nicht ausreichend zu sein, denn allein eine optimistische Haltung (eine bestimmte emotional aufgeladene Art, das Vertrauensobjekt zu sehen) – wie sie beispielsweise Jones (1996) vorschlägt – reicht nicht dafür aus, dass man von Vertrauen sprechen würde.10 Es spielt noch ein gewisser relational-normativer Aspekt eine Rolle. Zwischen A und B spannt sich auch eine bestimmte normative Landschaft auf, in der das Vertrauenssubjekt A eine wesentliche Rolle einnimmt. Wenn A dem/der B vertraut, dann heißt das, dass A aufgrund der Beziehung in der er/sie zu B steht, eine bestimmte normative Erwartungshaltung gegenüber B hat. B soll sich auf eine bestimmte Weise verhalten und dieses Sollen ist nicht allein prädiktiv zu verstehen, sondern das Vertrauenssubjekt erwartet ein auf es persönlich rückbezügliches Verhalten vom Vertrauensobjekt. Das bedeutet, dass das Relatum des Vertrauensobjektes nach einer personalen Besetzung verlangt, einem Wesen, das ein auf ein anderes Wesen rückbezügliches Verhalten zeigen können muss und an das sinnvollerweise normative Erwartungen gerichtet werden können. Vertrauen ist daher „paradigmatically a relation between two persons“ (Govier 1993: 156).

Darüber hinaus ist Holton (1994) zuzustimmen, dass die Haltung, die das Vertrauenssubjekt gegenüber dem Vertrauensobjekt hat, – in Anlehnung an Peter Strawson – als participant attitude oder, wie Holton es nennt, als participant stance zu charakterisieren ist.11 Eine Haltung, die wir einnehmen, wenn Interaktionen mit dem persönlichen Anspruch auf interpersonale Berücksichtigung und entsprechender Bereitschaft zu reaktiven Gefühlen einhergehen (Strawson 1963: 58). Reaktive Gefühle können generell als Gefühle aufgefasst werden, die konstitutiv mit bestimmten Erwartungen verbunden sind – Erwartungen, die moralischer aber auch rein persönlicher Natur sein können (Wallace 2008). B wird von A für sein oder ihr Tun ihm/ihr gegenüber für verantwortlich gehalten. A geht davon aus, dass er/sie spezielle Ansprüche gegenüber B hat, die darin begründet sind, dass A dem/der B vertraut.12 Dies sind Ansprüche, die nicht als (sozial-)moralische, sondern als persönliche Ansprüche zu verstehen sind, die sich durch die Vertrauensbeziehung ergeben. Werden diese Ansprüche nicht erfüllt, dann gibt das A Anlass, darauf mit reaktiven Gefühlen des Übel-Nehmens oder vielleicht sogar des Sich-Betrogen-Fühlens zu reagieren.13

Wie soll nun aber B sich in Bezug auf A genau verhalten? Was wird von B erwartet? Baier (1986: 235 et passim; dies. 1991: 112) hat vorgeschlagen, dass das Vertrauensobjekt das Vertrauenssubjekt mit Wohlwollen (good will) behandelt. Es bleibt aber genauer auszuführen, was genau mit ‚good will‘ gemeint ist. Zunächst scheint klar, dass es sich – da es sich um eine Erwartung von A handelt – um etwas handelt, das A dem/der B unterstellt. Diese Präsupposition beinhaltet, dass das Vertrauensobjekt sich so verhält, dass die Interessen des Vertrauenssubjektes gewahrt sind. A nimmt an, dass seine/ihre Interessen vom Vertrauensobjekt im Rahmen der Vertrauensbeziehung Unterstützung finden, weil sie eben diejenigen des Vertrauenssubjektes sind. Wenn Anton darauf vertraut, dass Berta ihm beim Umzug hilft, dann nimmt Anton an, dass das Umziehen-Wollen als etwas, das Anton gerne möchte, von Berta erkannt wird und handlungswirksam werden wird. Liegt Anton mit dieser Erwartung richtig, dann verfolgt Berta auch das Ziel, einen Umzug voranzubringen. Der Grund dafür, dass sie es verfolgt, liegt darin, dass es Antons Interesse ist, umzuziehen. Vertrauenssubjekt und -objekt teilen ein Ziel aufgrund der Beziehung, in der sie zueinander stehen. Das kann man mit Lahno (2020: 152) als Merkmal der Verbundenheit (connectedness) bezeichnen:

„[W]hen trusting, the trustor perceives the trusted person as somebody whose actions in the given context are guided by common interests, by shared aims or by values and norms which the trustor himself takes to be authoritative.” 14

Durch Vertrauen entstehen in dieser Art soziale Verbindungen – ein „social glue“ (Govier 1993: 156) – zwischen zwei Personen, die (mindestens) vom Vertrauenssubjekt wertgeschätzt werden. Gestört werden kann diese Bindung dadurch, dass das Vertrauensobjekt nicht den Erwartungen des Vertrauenssubjekts entspricht. Nimmt das Vertrauenssubjekt das als Vertrauensbruch wahr, hat das zum einen zur Folge, dass Ziele und Werte des Vertrauenssubjektes Gefahr laufen, nicht verwirklicht werden zu können, zum anderen wird die wertgeschätzte Verbindung in Frage gestellt. Das Vertrauenssubjekt sieht sich veranlasst, mit entsprechenden reaktiven Gefühlen zu antworten.

4 Selbstvertrauen

Bislang wurde Vertrauen als interpersonales Phänomen erläutert. Die Idee ist nun, dass man die Analyseergebnisse auf das Selbstvertrauen übertragen kann.15 Das ist auf den ersten Blick vielleicht nicht direkt eingängig, handelt es sich doch beim Selbstvertrauen eben nicht um ein inter- sondern ein intrapersonales Phänomen: es geht um Vertrauen in sich selbst, in die eigene Person. Das stellt aber in dem Sinne kein Problem dar, denn die bisher vorgelegte Konzeption von Vertrauen ist zwar als eine Relation vorgestellt worden, die verlangt, dass das Vertrauensobjekt personale Züge aufweisen muss, das bedeutet aber nicht, dass von einem Vertrauensobjekt und Vertrauenssubjekt zu sprechen, beinhaltet, dass von zwei unterschiedlichen Personen die Rede sein müsste. Es ist durchaus sinnvoll zu sagen, dass A sich selbst vertrauen kann, denn erstens wird dies durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion ermöglicht (Jones 2012: 239) und zweitens lassen sich die Merkmale, die für interpersonales Vertrauen genannt wurden, auf die intrapersonale Variante anwenden.16

Es ist (menschlichen) Personen17 möglich, gewissermaßen einen Schritt zurückzutreten, so Distanz zur eigenen Person zu schaffen und auf sich selbst zu reflektieren. Das scheint eine Fähigkeit zu sein, die menschliche Personen von anderen Lebewesen unterscheidet (Korsgaard 2018: 44ff). Ihnen ist es möglich, über sich selbst nachzudenken, sich selbst zu bewerten oder sich selbst in Frage zu stellen. Dadurch ist es ihnen auch möglich, sich selbst gegenüber reaktive Gefühle zu haben. Man kann z. B. mit sich selbst zufrieden sein, sich über sich selbst ärgern, sich etwas übelnehmen oder sich für etwas schämen. Das heißt, Personen können sich selbst zum Objekt machen (Korsgaard 1996: 90ff, Frankfurt 2006: 3ff) und ein urteilendes und bewertendes Auge auf sich selbst werfen. Das bedeutet aber auch, dass man sich selbst vertrauen kann. Das ist so, weil sich die oben genannten Merkmale interpersonalen Vertrauens auch auf den intrapersonalen Fall anwenden lassen.

Epistemische Unsicherheit:

Viele mögen denken, dass man in Bezug auf die eigene Person höchste epistemische Sicherheit besitzt. Das ist aber mitnichten der Fall. Lahno (2002: 336) zeigt auf, dass man in drei Hinsichten in Bezug auf sich selbst unsicher sein kann: erstens bezüglich der Wahl der richtigen Mittel zu einem bestehenden Zweck (Anton kann unsicher sein, was er tun soll, um glücklich zu werden), zweitens hinsichtlich der Kraft und (synchronen) Konsistenz von Zielen (Anton kann unsicher sein, ob er lieber alleine oder mit Berta zusammenleben will) und drittens in Bezug auf die diachrone Konstanz von Zielen und Werten (Anton kann unsicher sein, ob er Berta auch noch in zwanzig Jahren lieben wird). Besitzt jemand Selbstvertrauen, so besteht eventuell epistemische Unsicherheit, man akzeptiert aber diese Vulnerabilität und gewährt sich selbst vertrauend gewissermaßen einen Spielraum im Handeln, Denken und Fühlen, ohne Kontrolle auszuüben (Der sich selbst vertrauende Anton entscheidet sich, dazu, Schriftsteller zu werden, lieber alleine leben zu wollen und ganz auf seine jetzige Liebe zu Berta zu vertrauen).

Spezielle Beharrlichkeit:

Besitzt man Selbstvertrauen, dann ist man gegenüber Hinweisen, dass man vielleicht mit etwas doch nicht richtig liegen könnte, widerständig. Wird Anton mitgeteilt, dass er niemals ein guter Schriftsteller werden wird, dann wird er sich davon nicht beeindrucken lassen, sondern vielmehr seiner Entscheidung und seinen Fähigkeiten vertrauen. Er sieht sich selbst in einem anderen Licht als andere das tun und wird gegenüber andersartigen Fremdeinschätzungen eine gewisse Beharrlichkeit aufweisen. Das ist zu unterscheiden von dem Fall, in dem sich Anton bloß auf seine guten Noten bei Textproduktionen in der Schulzeit verlässt und extrapoliert, dass er auch in Zukunft erfolgreich sein wird. Würde einem sich bloß darauf verlassenden Anton mitgeteilt, dass dazu, Schriftsteller zu sein, mehr gehört, würde er diese Fremdeinschätzung in seiner ‚Kalkulation‘ berücksichtigen.

Relationale Komponente:

Verlässt man sich bloß auf sich selbst, dann ist die Grundlage dieser Haltung ein Verhältnis zu sich selbst, bei dem auf vergleichbarer prädiktiver Basis sich ein Urteil auch auf andere Lebenssituationen übertragen lässt. Für Vertrauen ist neben epistemischer Unsicherheit und spezieller Beharrlichkeit eine spezifisch relationale Komponente wichtig, die anders als rein prädiktiv geartet ist. Und auch diese kann für den Fall des Selbstvertrauens plausibel expliziert werden.

Auch im intrapersonalen Bereich spannt sich eine evaluativ-normative Landschaft auf, was durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion ermöglicht wird. So ist es uns möglich, uns selbst zu bewerten und uns selbst gegenüber bestimmte Emotionen zu empfinden. So kann Anton zufrieden mit sich selbst sein oder sich über sich selbst ärgern. Das heißt, dass man eine Form des Holton-Strawsonschen participant stance auch zu sich selbst einnehmen kann. Wir sind nicht nur in Beziehungen mit anderen persönlich involviert, sondern auch in Beziehung zu uns selbst. Wir haben Ansprüche an uns selbst und antworten auf unser eigenes Verhalten mit reaktiven Gefühlen. Wir haben manchmal Anlass, uns etwas selbst übelzunehmen (Anton hat Berta angelogen) oder auf sich selbst ärgerlich zu sein (Anton verpasst einen für das zukünftige Schriftstellertum wichtigen Termin).

Wie ist es nun aber um die hier spezifische für das Vertrauen kennzeichnende Erwartungshaltung bestellt? Auch diese kann in Bezug zur eigenen Person eingenommen werden. Das wird besonders deutlich, wenn Personen beim Verfolgen von Lebensprojekten auf sich selbst in der Zukunft Bezug nehmen. Vertraut eine Person auf sich selbst, dann erwartet sie, dass ihre aktualen Interessen von ihrem (zukünftigen) Selbst Unterstützung finden werden. Das bedeutet nicht, dass das jetzige und das zukünftige Selbst als zwei Entitäten verstanden werden müssen, bei denen das jetzige auf das fremde zukünftige Selbst Bezug nimmt. Es besteht eine diachrone Verbindung zwischen dem jetzigen und dem Selbst der Zukunft. Lahno (2002: 337, Kursivierung SH) spricht in diesem Fall von (personaler) Integrität:

Wer im Selbstvertrauen auf zukünftige Entscheidungen blickt, verhält sich […] prinzipiell zu seinem zukünftigen Ich als einer Person. Selbstvertrauen bedeutet hier Vertrauen in die Kraft des eigenen Willens und die Stärke der eigenen Wertmaßstäbe. Es wird hier keineswegs grundsätzlich eine Änderung der Vorlieben oder eine Entwicklung der Person ausgeschlossen. Die Sicherheit, die das Gefühl des Selbstvertrauens vermittelt, bezieht sich vielmehr auf die Integrität der Person über die Zeit.18

Integrität ist hier nicht im Sinne einer moralisch integren Person zu verstehen, sondern als eine Integriertheit von Lebensplänen und Verpflichtungen (commitments), mit denen sich eine Person selbst identifiziert (Kim 1998: 248).19 Man könnte hier von einem ‚personal glue‘ sprechen. Wenn Anton heute ernsthaft und auf sich selbst vertrauend entscheidet, dass er in seinem zukünftigen Leben Schriftsteller sein will, dann geht er nicht davon aus, dass diese Entscheidung morgen bereits passé sein wird. Für etwas, das Anton aktual wichtig ist, nimmt er an, dass sich dies auch kohärent in sein zukünftiges Selbst einfügen wird. Anton erwartet, dass sein zukünftiges Selbst solche Bestrebungen und Ziele ebenfalls für gut befindet und verfolgen wird.20

5 Self-Tracking und Selbstvertrauen

Selbstvertrauen zu haben kann also als eine Ausprägung von Vertrauen verstanden werden. Besitzt man dieses Selbstvertrauen aber nicht, ist man misstrauisch gegenüber sich selbst, dann ergibt es durchaus Sinn, sich selbst dazu bringen zu wollen, etwas, was einem jetzt wichtig ist, auch in der Zukunft weiter zu verfolgen. Wenn Anton an Silvester beschließt, dass er im neuen Jahr mehr für seine Gesundheit tun will, aber bereits antizipiert, dass dieser Entschluss nicht länger als bis zum zweiten Januar anhalten wird, dann kann es ihm sinnvoll erscheinen, Kontroll- und vielleicht sogar auch Zwangsmaßnahmen in Bezug auf sich selbst zu ergreifen: es mag dann „durchaus angebracht sein, sich auf diese oder andere Weise ‚an den Mast zu binden‘, um die Realisierung von wichtigen Plänen nicht zu gefährden“ (Budnik 2023: 121).

Hier könnte man einwenden, dass dann ja jegliche Inanspruchnahme von Hilfe oder von Hilfsmitteln zur Erreichung eines Ziels Ausdruck von Selbst-Misstrauen wäre. Dieser Einwand kann aber zurückgewiesen werden, denn Selbstvertrauen zu haben, bedeutet nicht notwendig auch autark zu sein. Es bedeutet, dass man aufgrund des Vertrauens auf sich selbst, sich auf sich selbst verlässt, d.h. dass keine kontrollierenden Einflüsse benötigt werden, um das zu verfolgen, was man tun möchte. Das kann wohl beinhalten, dass man Hilfsmittel verwendet – z. B. könnte Anton einen Kurs zum Creative Writing besuchen, um sein Vorhaben voranzutreiben. Das Besuchen dieses Kurses wird von Antons ursprünglichem Wunsch, Schriftsteller zu werden, befeuert. Setzt Anton sich selbst aber kontrollierende externe Reize, um ‚am Ball zu bleiben‘, dann ist das Ausdruck von Selbstmisstrauen. Sein zukünftiges Selbst benötigt andere Anreize als jene, die seine Absicht eigentlich begründen. Budnik (2023: 123) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Grund, den man dann hat, etwas zu tun, „nur auf kontingente Weise mit […] [dem] ‚erstpersonalen normativen Zusammenhang‘ zusammenhängt und stattdessen eher im Sinne eines kausalen Einflusses Relevanz für [das] […] Handeln hat.“

Externe Reize – wie sich von Belohnungen/Sanktionen zu bestimmten Handlungen animieren oder von diesen abhalten zu lassen – können als kontrollierender Einfluss das eigene Agieren bestimmen. Begibt man sich unter eine solche Kontrolle, dann wird epistemische Unsicherheit in Bezug auf das eigene Verhalten minimiert oder sogar beseitigt. Zudem bedeutet es, dass man dem eigenen Handeln keinen Ermessensspielraum gewährt, man sorgt über die Kontrolle vielmehr dafür, dass bestimmte Handlungen ausgeführt werden. Man ist gerade nicht widerständig gegen Hinweise, die nahelegen, dass ein eigenes Ziel nicht weiter verfolgt werden könnte, denn man ergreift Maßnahmen, die auf solche Hinweise reagieren. Man sieht sich selbst auch nicht in einem optimistischen Licht, sondern sorgt über die Kontrolle dafür, dass das zukünftige Selbst bestimmte Pläne weiter verfolgt. Das jetzige Selbst erwartet nicht, dass das zukünftige Selbst hinter dem jetzt aktualen Interesse stehen wird, sondern es behandelt sein zukünftiges Selbst wie etwas, das durch einen kausalen Faktor dazu gebracht werden muss, etwas zu tun. Es erwartet, dass das eigene zukünftige Selbst sich gegen die jetzt aktualen Interessen wenden wird.

Das lässt sich auf den Fall des Self-Trackings übertragen. Praktiziert man das Self-Tracking, dann akzeptiert man, dass dem eigenen Selbst Anreize geschaffen werden, um ein bestimmtes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist nicht notwendig als kontrollierender Einfluss anzusehen. Prinzipiell ist es auch denkbar, dass das Self-Tracking lediglich als Hilfsmittel eingesetzt wird. Präskriptive Elemente werden dann nur als Erinnerungen daran empfunden werden, was man eigentlich selbst auch tun wollte. Mit Budnik (2023: 125) kann man sagen, dass in einem solchen Fall eine Person davon ausgeht, dass ihr zukünftiges Selbst mit dem jetzigen in einer normativen Verbindung steht und davon ausgeht, dass die Erwägungen, die jetzt getroffen werden, auch für das zukünftige Selbst Verbindlichkeit haben werden. Es mag Menschen geben, die mit Fitness-Trackern (oder allgemein mit Self-Tracking-Devices) so umgehen können, dass diese als nicht kontrollierende Informationsgeber aufgefasst werden. Für diese Menschen greift die hier entwickelte Argumentation nicht. Führt eine Person allerdings gesundheitsbezogene Aktivitäten aus, weil sie in aller erster Linie nur auf die Präskriptionen der Self-Tracking Devices reagiert, dann üben diese Anreize Kontrolle über die Person aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Self-Tracking wiederum einen kontrollierenden Einfluss auf die Person ausübt, ist sehr hoch. Wirkt das Self-Tracking kontrollierend, dann kann das als ein sich selbst auferlegter externer Kontrollmechanismus, eine selbst in Gang gesetzte Manipulation, aufgefasst werden. Damit schafft man Bedingungen dafür, dass das, was jetzt für gut und richtig gehalten wird, später auch noch handlungswirksam wird. Wenn Anton sich vornimmt, jeden Tag 10.000 Schritte zu gehen und das dadurch bewirkt wird, dass er auf externe Anreize wie positives oder negatives Feedback seines Fitness-Trackers reagiert, dann ist dieser zusätzliche Grund, den man sich geschaffen hat, um etwas zu erreichen, gewissermaßen wie ein Kausalfaktor zu betrachten, der auf das eigene Verhalten Einfluss nimmt (Budnik 2023: 123). Dieser kontrollierende Einfluss mag tatsächlich dazu führen, dass ein gesundheitsförderliches Verhalten internalisiert wird und es mag sogar der Fall sein, dass man das kontrollierend eingesetzte Self-Tracking für ein entsprechendes Verhalten irgendwann einmal nicht mehr benötigt. Dennoch bleibt davon unberührt, dass die Internalisierung sich selbst misstrauend zustande gekommen ist. In manchen Fällen mag man das durch den Nutzen, den das gesundheitsförderliche Verhalten mit sich bringt, in Kauf nehmen wollen. In manchen Fällen ist das hingegen nicht anzunehmen, wenn beispielsweise der gesundheitliche Nutzen eines Verhaltens in Frage steht21 oder wenn das Verhalten mit unerwünschten Folgen verbunden ist bzw. sie nach sich zieht.

Warum ist die Wahrscheinlichkeit einer kontrollierenden Wirkung des Self-Trackings als hoch anzusehen? Das liegt an Mechanismen und verschiedenen kognitiven Biases, die durch das Self-Tracking angesprochen werden. Zu nennen wären hier (mindestens) Spielifizierung und Hypernudging, der Automation Bias und das Erbe der ‚Stimme der Medizin‘:

Spielifizierung und Hypernudging:

Als Spielifizierung (gamification) wird die Nutzung von Spieltechniken und -elementen in Nicht-Spiel-Kontexten bezeichnet (Kim und Werbach 2016) und dies wird sehr häufig (wenn auch wohl nicht immer) beim gesundheitsbezogenen Self-Tracking angewandt (Maturo und Setiffi 2015: 482). Diese Kombination muss nicht notwendig als manipulativer Einfluss wirken,22 dennoch kann sie es. Dass gesundheitsbezogene Self-Tracking Devices und -Apps mit manipulativ wirksamen Elementen arbeiten, ist hoch wahrscheinlich, da deren Produzenten und Anbieter kommerzielle Interesse verfolgen. Sie suchen die Nutzer*innen an ihre Produkte zu binden23 und nutzen dabei Techniken und Elemente aus dem Design von Spielen, z. B. durch Punktescores, Challenges, Erfolgsanzeigen etc. (Kim und Werbach 2016, Arora und Razavian 2021). Man kann auch davon ausgehen, dass sie die Möglichkeit zum – von Yeung (2016) so benannten – Hypernudging nutzen. Durch ein solch intensiviertes und personalisiertes Nudging ist es möglich, den Wahlkontext einer Person zu steuern und zu verändern und personalisierte Sets von Wahloptionen zu rahmen, während die Mechanismen dafür Nutzern meist verborgen bleiben (Lanzing 2019: 554). Durch eine spielifizierte Art der Aufbereitung von Feedback-Mechanismen und einem möglichen Hypernudging wird mit kognitiven Biases gearbeitet, mit der wahrscheinlichen Folge, dass ein Reflexionsprozess darüber, ob man wirklich den Anreizen entsprechend handeln will, gestört oder sogar ausgesetzt werden kann. Kim und Werbach (2016) nennen zwei Beispiele wie der Reflexionsprozess einer Person durch Spielifizierung inhibiert wird: Abhängigkeit (addiction) und Ablenkung (distraction). Während man bei der (Verhaltens-)Abhängigkeit Tätigkeiten zwanghaft ausführt und der Selbstkontrolle verlustig geht,24 wird bei der Ablenkung eine Konzentration auf andere Dinge als die, wodurch man abgelenkt wird, erschwert oder sogar verhindert. Die reflexive und kontrollierte Auseinandersetzung der Person mit dem, was sie tut, ist unterminiert. Sie wird vielmehr kontrolliert.

Automation Bias:

Neben einer solchen Kontrollwirkung ist der Automation Bias als weiterer Kontrollfaktor zu nennen. Besonders aus der Forschung im Bereich der Luftfahrt aber auch aus der medizinischen Forschung ist es bekannt, dass die Gefahr besteht, dass sich Menschen auf ein technisch-automatisiertes Output mehr verlassen als dem eigenen Urteil, auch wenn dies eine Fehleinschätzung repräsentiert. Geräte arbeiten nicht zu 100 % genau, auch Geräte machen Fehler. Dennoch verlässt man sich auf sie oft fast blind. Geräte werden eingesetzt, damit man weniger Arbeit hat, dass Arbeit zum Teil von ihnen übernommen wird und damit weniger menschliche Fehler gemacht werden. Das kann dazu führen, dass man sich auch bei Verwendung der Geräte Arbeit ersparen möchte, Verantwortung an die Geräte abgibt und diese auch als Autoritäten im betreffenden Gebiet anerkennt. Das führt dazu, dass sowohl Fehler durch Unterlassung (das Gerät zeigt nichts an, also tue ich auch nichts: ommission error) wie auch durch Befolgung (das Gerät zeigt etwas an, also tue ich Entsprechendes: commission error) gemacht werden (Goddard 2012: 124). Und das kann zunehmen, je komplexer die Aufgabe ist, je mehr Arbeitsbelastung besteht und wenn die Person, die eine Entscheidung zu treffen hat, wenig Erfahrung in dem Gebiet hat, in dem Einschätzungen gemacht oder Entscheidungen getroffen werden sollen. Hinzu kommt, dass quantifizierte Daten den Anschein harter wissenschaftlicher Evidenz mit sich bringen. Unberücksichtigt bleibt bei einem solchen Verhalten, dass Werte möglicherweise fehlerhaft ermittelt sein können, Standards gesetzt werden können, die nicht zur individuellen Konstitution passen und die Datafizierung der Befindlichkeit eine reduktive Verkürzung darstellt (Lupton 2021: 192f).

Stimme der Medizin:

Der Automation Bias stellt eine Gefahr nicht nur im Bereich medizinischer Technologie dar, sondern ist ein bereichsübergreifendes Problem. Für die Medizin spezifisch ergibt sich eine weitere kognitive Verzerrung, denn hinter gesundheitsbezogenen Devices und Apps wird oft auch medizinische Kompetenz vermutet. Es ist davon auszugehen, dass die gesundheitsbezogenen Tracking-Devices vielfach eine Haltung der Prä-Autorisierung, die häufig Mediziner*innen gegenüber eingenommen wird, erben. Viele haben generell gegenüber Expert*innen eine positiv-evaluative Haltung, für die Niker und Mitarbeiter*innen (2021: 194) den Begriff der Prä-Autorisierung (pre-authorization) geprägt haben. Diesen Expert*innen gewährt man einen bevorzugten Zugang dazu, Einfluss auf den eigenen Entscheidungsprozess zu nehmen. Das ist auch teils sinnvoll, denn das Leben ist zu komplex, als dass man sich in allen persönlichen Belangen ausreichend Wissen und Kompetenzen aneignen könnte. Wenn man etwas für seine Gesundheit tun will, dann richtet man sich doch in den allermeisten Fällen nach Auskünften, die man von Mediziner*innen erhält.25 Es ist anzunehmen, dass diese Haltung sich auf den Output von gesundheitsbezogenen Devices übertragen wird. Einige Self-Tracking Devices sind Teil von Förderprogrammen von Krankenkassen. Sie ermitteln ‚harte‘ quantifizierbare Daten, die als Vitaldaten ebenfalls im medizinischen Bereich erhoben werden. Nutzer*innen werden hier sehr leicht annehmen, dass Daten-Interpretations-Modelle gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Ursprungs für die Einschätzung der Daten zugrunde liegen. Bestätigungen, positive wie negative Verstärkungen oder Aufforderungen sprechen dann gewissermaßen mit der Stimme der Medizin (Owens und Cripp 2019: 34), der man dann auch nachkommt.

Durch diese Kontrollfaktoren bedingt ist es möglich, dass die epistemische Unsicherheit, die für Selbstvertrauen charakteristisch ist, aus dem Weg geräumt oder zumindest stark verringert wird. Das Vertrauensobjekt – in diesem Fall das eigene Selbst – erfährt eine Eingrenzung des Handlungsspielraums, dadurch, dass Empfehlungen der Devices gefolgt werden bzw. dadurch, dass man sich durch die Anreizsystematik lenken lässt. Die für das Selbstvertrauen charakteristische Beharrlichkeit wird unterminiert, weil gerade externe Anreize dafür sorgen, dass ein bestimmtes Ziel weiterverfolgt wird. Es wird unnötig, das eigene Selbst im Lichte einer Vertrauensbeziehung zu sehen. Zweifel am Vertrauensobjekt sind durch die kontrollierende Einflussnahme implizit unterstellt und erhalten Raum. Und auch die vertrauensspezifische relationale Komponente – die optimistische verbindende Haltung – wird gestört. Es werden Voraussetzungen dafür geschaffen, die dafür sorgen, dass das, was vom jetzigen Selbst für gut befunden wird, auch in Zukunft per Kontrolle umgesetzt wird. Vielleicht sorgen auch bewusste Befürchtungen, dass das zukünftige Selbst anders handeln wird als jetzt eigentlich befürwortet wird, dafür, dass Kontrollmechanismen implementiert werden. Die optimistische Haltung ist getrübt und die Verbindung zum zukünftigen Selbst ist gerade nicht eine, die per se als integrierte aufzufassen ist, sondern als eine, die auch von außen zusammengehalten wird oder sogar werden muss.

Verstärkt werden mag ein mangelndes Selbstvertrauen dadurch, dass man beim Self-Tracking auch Erlebnisse des Scheiterns haben wird, nämlich dann, wenn etwaigen Empfehlungen nicht genügt, die Leistung nachlässt und/oder Aufforderungen nicht nachgekommen werden kann (Behne und Teuteberg 2020). Zusätzlich kommt hinzu, dass das Selbstvertrauen durch die beim Self-Tracking ausgenutzten kognitiven Biases und die wirtschaftlich-kommerziellen Interessen von Anbietern Gefahr läuft, darüber hinaus unterminiert zu werden. Während zunächst Unsicherheit bloß darin bestanden haben mag, ein bestimmtes gesundheitliches Ziel nicht eigenständig motiviert erreichen zu können, besteht die Gefahr, dass sich diese Unsicherheit auf weitere Bereiche des Lebens ausdehnt (z. B. dem eigenen Urteil nicht vertrauen können, nicht mehr die Zeit selbst einteilen können, nicht ohne Aufmerksamkeit anderer sein können, etc.).26

6 Schluss

Mit dem Self-Tracking anzufangen, kann ein Ausdruck mangelnden Selbstvertrauens sein, und zwar dann, wenn man meint, man müsse sich selbst kontrollieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Damit versucht man, die für das Vertrauen charakteristische epistemische Unsicherheit zu eliminieren, unterminiert die spezifische Beharrlichkeit und sieht sich nicht als integrierte Persönlichkeit. Selbstvertrauen ist darüber hinaus gefährdet, weil es für Produzenten und Anbieter von Self-Tracking Devices attraktiv ist, mit kontrollierenden Mechanismen zu arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass sich diese allgemein auf die sich selbst trackende Person auswirken.

Wie ist diese Gefahr der Beeinträchtigung des Selbstverhältnisses durch das gesundheitsbezogene Self-Tracking zu bewerten? Das ist Sache einer Kosten-Nutzen-Abwägung. Wenn die Kontrolle, die sich eine Person selbst auferlegt, einen großen Nutzen mit sich bringt, sei es im krankheitspräventiven Kontext oder im Bereich des Krankheitsmanagements, dann scheint es sinnvoll zu sein, dies auch zu tun. Dient das Self-Tracken beispielsweise dem Monitoring und Management eines Diabetes mellitus und kann dadurch eine bessere Blutzuckereinstellung erzielt werden, dann ist das Self-Tracken sicherlich zu befürworten. Dennoch kann ein etwaig gefühltes Missbehagen derjenigen, die sich dieser Praxis unterwerfen, darauf zurückgeführt werden, dass sie sich extern kontrolliert fühlen bzw. eben der Umgang mit der Erkrankung nicht durch ein Auf-sich-selbst-Vertrauen-Können ausgezeichnet sein kann. Das wird ein Gefühl sein, dass viele Erkrankte schon allein aufgrund ihrer Erkrankung haben werden, das dann aber noch eine Verstärkung erfährt. Kann im Kontext der Prävention durch ein kontrollierend eingesetztes Self-Tracking ein dem subjektiven Wohl zuträgliches und gesundheitsförderliches Verhalten eingeübt werden, so ist auch das sicher als ein Nutzen zu verbuchen. Bringt das Self-Tracken aber keinen großen Nutzen, überträgt sich die Einbuße an Selbstvertrauen auf andere Bereiche des täglichen Lebens, droht vielleicht sogar Leid oder eine Beeinträchtigung autonomen Handelns, dann wäre es klug, auf das Self-Tracking zu verzichten. Dies gilt insbesondere da, wo durch andere Mechanismen Selbstvertrauen ebenfalls gefährdet ist (z. B. durch ein soziales Machtgefälle, (epistemische) Ungerechtigkeiten, etc.).27

Danksagung

Mein herzlichster Dank geht an Bettina Schöne-Seifert, Marco Stier und Oliver Hallich, die Vorläuferversionen dieses Textes mit mir diskutiert haben. Den anonymen Gutachter*innen danke ich für ihre hilfreichen Anmerkungen und Anregungen.

Förderung

Dieser Artikel ist im Rahmen des von der DFG geförderten Projektes „Ethische und medizintheoretische Herausforderungen für die individuelle Patientendienlichkeit von Medizin im Digitalzeitalter“ entstanden.

Literatur


  1. Neben ‚Self-Tracking‘ werden auch noch andere Ausdrücke zur Charakterisierung des Phänomens verwendet wie z. B. Quantified-Self-Movement oder Life Logging. Self-Tracking beschreibt die Tätigkeit, die ausgeübt wird.↩︎

  2. Das bedeutet nicht, dass Selbstvertrauen als absolut gut auszuweisen ist. Es gibt auch ein Zuviel an Selbstvertrauen, wenn man beispielsweise Ratschläge anderer nicht wahrnehmen will, obwohl das dem eigenen Wohl zuträglich wäre (Govier 1993a: 116). Selbstvertrauen ist als graduelles Phänomen zu verstehen und es kommt auf das richtige Maß an Selbstvertrauen an, damit eigene Ziele gut vorangetrieben werden können.↩︎

  3. Self-Tracking wirkt dann kontrollierend, wenn das Handeln der sich selbst-trackenden Person durch den Einfluss entsprechender Devices gesteuert wird. Das kann durch manipulative Einflüsse geschehen, kann aber auch Formen des Zwangs annehmen (Hiekel 2024).↩︎

  4. ‚Manipulation‘ ist hier in einem weiten Sinne verstanden als eine Aktion, die nicht argumentativ-rational überzeugend wirkt, sondern beinhaltet, dass ein (hypothetischer) Reflexionsprozess darüber, ob man etwas tun möchte, gestört wird. Wird ein solcher Reflexionsprozess wesentlich beeinträchtigt, dann handelt es sich um einen kontrollierend manipulativen Einfluss. Das kann z. B. durch Anwendung von psychologischen Tricks, durch verborgene Einflüsse, Ausübung von Druck oder betrügerische Einflüsse geschehen und resultiert dann womöglich in einer Handlung, deren Ursprung in einem trivialen Sinne zwar beim Akteur liegt, die aber auf Gründen beruht, die in einem emphatischen Sinne nicht als eigene Gründe zu rekonstruieren sind (Budnik 2023: 117).↩︎

  5. Zur Standardauffassung in der Debatte gehört es, Vertrauen als dreistelliges Prädikat der Form ‚A vertraut B in Hinsicht C‘ zu rekonstruieren. Die Hinsicht ‚C‘ wird in der Debatte dann jeweils unterschiedlich bestimmt. Es spricht allerdings einiges dafür, den Ausgang der Analyse von einer zweistelligen Relation zu nehmen und diese für grundlegend zu halten. Für diese These kann an dieser Stelle nicht ausführlich argumentiert werden. Vgl. zur weiteren Argumentation für die Zweistelligkeit der Vertrauensrelation Faulkner (2015), Domenicucci und Holton (2017), Budnik (2023).↩︎

  6. Ich orientiere mich in der folgenden Darstellung an Budnik (2023: 44ff), der allerdings noch weitere Merkmale für Vertrauen anführt, die hier aber entweder integriert werden oder aber als zu anspruchsvoll angesehen werden (das bezieht sich auf den dynamischen, diachronen und identitätskonstitutiven Aspekt von Vertrauen für den Budnik argumentiert) und deshalb nicht aufgeführt werden.↩︎

  7. So weist Baier (1986: 239) als wesentliches Kennzeichen von Vertrauen die Vulnerabilität des Vertrauenssubjekts aus, der zufolge Vertrauen mit einem moralischen Risiko versehen ist.↩︎

  8. Vgl. zum intrinsischen Wert des Vertrauens Herrmann (2017), Budnik (2023).↩︎

  9. Vorausgesetzt ist hier ein bestimmtes Verständnis von Emotion, das diese in den Kontext des Wahrnehmens-als-etwas stellt (Vendrell Ferran 2020) und das hier nicht weiter verteidigt werden kann.↩︎

  10. Jones selbst erweitert ihren Ansatz um den Aspekt, dass das Vertrauensobjekt aus einer bestimmten Motivation heraus handelt: Es handelt aus der Erkenntnis heraus, dass das Vertrauenssubjekt auf es zählt. Das bedeutet aber, dass das Vertrauenssubjekt darum wissen müsste, dass es als ein solches aufgefasst wird. Das erscheint aber zu restriktiv. Man kann einer Person vertrauen, ohne dass diese darum weiß (vgl. Lahno 2020: 150; Hawley 2012: 14).↩︎

  11. Holton hält die Einnahme des participant stance allerdings für das zentrale Merkmal von Vertrauen. Hier haben Kritiker allerdings zu Recht eingewendet, dass diese Konzeption Vertrauen unterbestimmt lässt (McMyler 2017).↩︎

  12. Vgl. für die Idee, dass Beziehungen mit speziellen Verantwortungen einhergehen: Scheffler (1997).↩︎

  13. Das markiert einen weiteren Unterschied, der zwischen ‚Vertrauen‘ und ‚bloßem Sich-Verlassen‘ von Baier (1986) eingeführt wurde. Während ein wahrgenommener Vertrauensbruch Anlass dazu gibt, reaktive Gefühle des Übelnehmens oder Sich-betrogen-Fühlens zu zeigen, ist das bei einem bloßen Sich-Verlassen lediglich Enttäuschung.↩︎

  14. Dadurch, dass hier die Interessen, Werte und Normen des Vertrauenssubjekts Gegenstand der Erwartungshaltung sind, ist auch verständlich, dass in Vertrauenskonstellationen immer etwas für das Vertrauenssubjekt auf dem Spiel steht – mögliche Gegenstände des Vertrauens sind solche, die praktische Relevanz für das Vertrauenssubjekt besitzen (Budnik 2023: 48f).↩︎

  15. Das ist keine neue Idee. Sie wird u. a. von Govier (1993a), Jones (2012), Lahno (2002) oder McLeod (2002) verfolgt, allerdings mit unterschiedlichen Vertrauens-Ansätzen.↩︎

  16. Die Rede vom ‚Selbst‘ oder der Reflexion auf die eigene Person ist nicht essentialistisch zu verstehen. Damit steht weder eine metaphysisch aufgeladene Idee eines ‚wahren Selbst‘ noch eine verdinglichende Ontologisierung in Verbindung.↩︎

  17. Es ist keineswegs eindeutig bestimmt, was es heißt, eine Person zu sein. Im Folgenden wird darunter eine Entität verstanden, die gewisse kognitive Fähigkeiten aufweist. Dies ist aber ohne normativ-moralische Implikationen in Bezug auf einen etwaigen moralischen Status zu verstehen.↩︎

  18. Ähnlich expliziert Budnik (2023: 138) Selbstvertrauen als eine „spezielle diachrone Verbindung“.↩︎

  19. Kim nimmt hier Bezug auf das Integritätsverständnis bei Williams (1973: 116).↩︎

  20. Lebensziele oder Projekte, die auf sich selbstvertrauend gewählt werden, müssen nicht explizit geäußert oder formuliert werden können, auch muss man sich nicht hoch reflektiert dazu entscheiden. Es ist aber ex ante eine – wenn auch nur implizite – Identifikation mit dem Projekt erforderlich, welche sich auf die Erstreckung des Projektes in der Zukunft ausdehnt. Schwankt hingegen eine Person zwischen verschiedenen Projekten, so liegt diese Identifikation (noch) nicht vor. Ändert eine Person sehr schnell ihre Ziele, so kann das verschiedene Gründe haben, die unter dem Blickwinkel des Selbstvertrauens unterschiedlich zu bewerten sind. Es kann Ausdruck einer Zerrissenheit und damit mit wenig Selbstvertrauen verbunden sein. Es kann aber auch bedeuten, dass man nicht gut über bestimmte Ziele informiert ist und man merkt ex post, dass sie doch nicht zu einem passen. Das kann durchaus mit Selbstvertrauen einhergehen, denn zum Zeitpunkt der Entscheidung für ein Projekt ging man noch davon aus, dass auch das zukünftige Selbst daran festhalten wird. Ich danke einer/einem anonymen Gutachter*in für den Hinweis auf diese Punkte, die an dieser Stelle nur ansatzweise ausgeführt werden können.↩︎

  21. Viele der eingesetzten gesundheitsbezogenen Self-Tracking Devices entspringen einem Sektor, der weitgehend durch kommerzielle Interessen geprägt ist. Eine wissenschaftliche Einschätzung des Risiko-Nutzen-Profils und der Verlässlichkeit ist hier nicht notwendig gegeben. Ich danke einem/einer anonymen Reviewer*in für diesen Hinweis.↩︎

  22. Weder das Self-Tracking noch die Nutzung spielifizierender Elemente und auch nicht die Kombination aus beidem sind notwendig in Verbindung mit Manipulationen stehend zu sehen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass manipulativ Einfluss genommen wird – insbesondere in vorrangig kommerziellen Kontexten – hoch.↩︎

  23. Zum einen stellen produzierte Daten der Nutzer eine wertvolle Ware dar (Till 2014) und zum anderen kann das Interesse der Nutzer auf andere kommerzielle Produkte gelenkt werden, so dass mehr Profit gemacht werden kann (Owens und Cripp 2019).↩︎

  24. Vgl. zur Ausnutzung kognitiver Biases durch sogenannte addiktive Technologien Alter (2017) und Motyl (2020).↩︎

  25. Das Phänomen der Wissenschaftsskepsis und der Expert*innen-Feindlichkeit, das beispielsweise während der Corona-Pandemie deutlich geworden ist, steht einer solchen kognitiven Verzerrung entgegen, birgt aber andere und eigene Gefahren.↩︎

  26. Wenn solche Probleme auftauchen, dann kann man zwar das Self-Tracking abbrechen, aber dafür muss ein Bewusstsein für die Problematik vorhanden und der Zusammenhang erkannt sein. Manchmal ist es aber auch der Fall, dass das Self-Tracking in den Bereich des Suchtverhaltens fällt (Motyl 2020) und ein Abbruch ist nicht ohne weiteres möglich.↩︎

  27. Zur Verbindung von Selbstvertrauen und den Überlegungen Frickers (2007) zur epistemischen Ungerechtigkeit vgl. Jones (2012: 245ff). Vgl. auch Herzog und Mitarbeiter*innen (2021) zu einem integrierten Verständnis digitaler Verhaltenstechnologien (digital behavioral technologies), das Überlegungen zu individuellen Vulnerabilitäten mit denen struktureller Ungerechtigkeit verbindet.↩︎