Wie ideal ist zu ideal? Serene Khaders Decolonizing Universalism und die Kritik an einem idealisierenden Feminismus

Autor:innen

  • Tamara Jugov

Schlagworte:

Ideale und nicht-ideale Theorie, Feministische Theorie, Universalismus, Postkoloniale Theorie, Imperialismus

Key words:

Ideal and non-ideal theory, feminist theory, universalism, postcolonial theory, imperialism

Abstract

Der vorliegende Beitrag liest Serene Khaders Buch „Decolonizing Universalism“ und ihren darin entwickelten feministischen nicht-idealen Universalismus als wichtigen Beitrag zur Debatte um nicht-ideale politische Philosophie. Khaders Ansatz hat einen nicht-idealen Charakter, weil er zwar die universelle Überwindung sexistischer Praktiken fordert, dies aber auf eine kontextsensitive, nichtidealisierende Art und Weise tut. Eine zu ideale Art und Weise der Theoriebildung attestiert Khader einem „liberal-missionarischen“ Feminismus. Diesem wirft sie einen Gerechtigkeitsmonismus, ungerechtfertigte Idealisierungen sowie übertriebenen Moralismus vor. Der vorliegende Beitrag befindet, dass die Verknüpfung von Khaders Kritik an einem missionarischen Feminismus mit allgemeineren Bedenken gegenüber idealer und idealisierender Gerechtigkeitstheorie ein origineller und gelungener Aspekt von „Decolonizing Universalism“ ist. Besonders überzeugend ist dabei Khaders Kritik an unzulässigen Idealisierungen. Ein missionarischer Feminismus etwa blende die globalen und imperialen Ursachen für sexistische Unterdrückung häufig aus und konzentriere sich stattdessen auf lokale Formen der sexistischen Unterdrückung. Der vorliegende Beitrag stellt aber auch zwei Einwände gegen Khaders Ansatz vor. Erstens bleibt unklar, welche philosophischen Positionen Khader unter dem „missionarischen Feminismus“ genau zusammenfasst. Hier scheinen eher populäre Positionen aus dem politischen und öffentlichen Leben und weniger ausgearbeitete philosophische Argumente Zielscheibe von Khaders Kritik zu sein. Mögliche Einwände liberal-feministischer Positionen gegen diesen Vorwurf – etwa der Verweis auf den anti-kulturalistischen und institutionalistischen Fokus einer Rawlsschen Position oder auf bestehende Versuche einen kontextsensitiven Universalismus zu formulieren – werden nicht berücksichtigt. Der zweite Einwand bezieht sich auf die methodologische Struktur von Khaders eigenem Vorschlag. Khader fasst sexistische Unterdrückung als gruppenbezogene Untererfüllung basaler Menschenrechte auf. Doch nicht alle normativen Dimensionen sexistischer Beherrschung lassen sich so fassen, Sexistische Formen der Missachtung, Entwürdigung oder Statusverletzung sind nicht immer auf die Dimension der gruppenbasierten Menschenrechtsverletzung reduzierbar. Wie ist beispielsweise der Fall zu bewerten, wenn die basalen Menschenrechte von Frauen in einer Gesellschaft als erfüllt angesehen werden müssen – aber nur dann, wenn Frauen Männer heiraten, die für ihren Schutz und ihr Wohlbefinden sorgen? Gegen Khaders Theoriearchitektonik scheint ein fundamentales Recht auf sexistische Nicht-Beherrschung kein Menschenrecht unter vielen zu sein, sondern eine Art Meta-Recht darzustellen. Dieses Problem macht auch die schwierige Frage der Abwägung zwischen nicht-idealen sozialen Arrangements noch schwieriger, u. a. weil Menschenrechtsverletzungen bei Khader an dieser Stelle zwei verschiedene Rollen spielen, erstens als prima facie normatives Übel, zweitens in ihrer Funktion zur Identifizierung sexistischer Unterdrückung.

English version

This paper reads Serene Khader’s book “Decolonizing Universalism” and the feminist “non-ideal universalism” it develops in terms of an important contribution to the debate on ideal and non-ideal political theory. Khader’s approach is “non-ideal” because, while it calls for the universal overcoming of sexist oppression, it does so in a context-sensitive, non-idealizing way. Khader accuses a “liberal-missionary” feminism of being too hegemonic, because of its use of overly ideal character – more precisely, because of its justice monism, its unjustified idealizations and its overly moralistic character. The way in which Khader links her critique of missionary feminism with more general concerns about theories of justice that are ‘too ideal’ is an original and convincing aspect of “Decolonizing Universalism”. Khader’s criticism of improper idealizations is particularly compelling. For example, missionary feminism tends to focus local and parochial forms of sexist oppression, but omits the global and imperial causes for sexist oppression. The paper also presents two criticisms of Khader’s book. First, it argues that it remains unclear which philosophical positions exactly Khader subsumes under the heading of a liberal “missionary feminism.” The targets of her critique seem to be popular positions from political and activist life, rather than philosophical positions or arguments. A second and more substantial criticism addresses the methodological structure of Khader’s own proposal. Khader defines sexist oppression in terms of group-specific nonfulfilment of basic human rights. This approach, however, does not capture all dimensions of sexist oppression – certain forms of disrespect, degradation or status harms are not in all cases reducible to instances of group-based human rights violations or underfulfilments. Take the example of a sexist society in which all of women’s basic human rights are fulfilled – but only because of marriages into patriarchic households. I believe that a right to non-domination must instead be considered in terms of a fundamental “meta-right” – grounding other rights, but not fully reducible to the violation of other basic human rights. Also note that Khader’s reduction of sexist oppression to group-specific human rights violations makes the question of how to overcome sexist oppression under non-ideal circumstances even more difficult to answer, because human rights play two distinct roles in that examination: on the one hand, they play the role of prima facie normative wrongs; on the other hand, they are needed to identify sexist oppression.

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Zitationsvorschlag

Jugov, T. (2022). Wie ideal ist zu ideal? Serene Khaders Decolonizing Universalism und die Kritik an einem idealisierenden Feminismus. Zeitschrift für Praktische Philosophie, 9(1), 339–354. https://doi.org/10.22613/zfpp/9.1.15

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Rubrik

Buchsymposium: Serene Khaders Decolonizing Universalism: A Transnational Feminist Ethic