Frei reden dürfen, aber es doch nicht sollen?

Zum moralistischen Anspruch der Political Correctness

Autor:innen

  • Tim F. Huttel

Schlagworte:

Political Correctness, Redefreiheit, Moralismus, Vorwurf, Sprechverbot

Key words:

political correctness, free speech, moralism, blame, speech ban

Abstract

Geht es nach der Political Correctness (PC), soll man auf bestimmte Redeweisen verzichten, obwohl diese legal zulässig sind. Inwiefern PC mit solchen Forderungen die Redefreiheit beeinträchtigt, ist eine hart umkämpfte Frage. Begreift man PC, wie ich vorschlage, mit Bernard Williams als moralistischen Anspruch, lässt sie sich begrifflich differenziert und instruktiv beantworten. Der „korrekte“ Anspruch basiert auf ungedeckten Sollens-Behauptungen und schlägt sich in einem spezifischen Gebrauch von Vorwürfen nieder. So begriffen lässt sich zum einen leicht darlegen, inwiefern PC nötigend wirkt und wechselseitiges Vertrauen aufzehrt: Die PC kennzeichnet ein Desinteresse gegenüber den Beweggründen der Rednerinnen, weshalb sie weder nach Gründen fragt noch Gründe gibt, sondern mit Vorwürfen Grenzen zieht. Zum anderen wird deutlich, dass die Kritik diskriminierender Rede nicht notwendig diesen Anspruch erheben muss. Es lassen sich verständigungsorientierte Strategien aufweisen, die umso dringlicher erscheinen, als es in liberaler Politik und Gesellschaft immer Gründe gibt, gegen PC-Redekonventionen zu verstoßen, und das Gut der Redefreiheit auf das robuste Vertrauen in anhaltende Kooperation angewiesen ist.

English version

Political Correctness (PC) claims that specific ways of speaking ought to be cancelled, even though they are legally permissible. It is a highly disputed question to what extent such claims impinge on free speech. If one understands PC, as I suggest, drawing on Bernard Williams, as a moralistic claim, it can be answered in a conceptually differentiated and instructive way. The “politically correct” claim is based on uncovered assertions of ought and is expressed in a specific use of reproach. Understood in this way, it is easily recognizable what the coercive effect of PC may be and how it impairs mutual trust: PC is characterized by a lack of interest in the motives of the speakers, which is why PC neither asks for reasons nor gives them but makes use of accusations to draw boundaries. Such an interpretation of PC draws the attention to more cooperative ways to morally criticize speech. As liberal politics and liberal society always provide reasons to contradict PC-rules and as the good of free speech demands citizen’s mutual trust, such ways are strongly needed.

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Zitationsvorschlag

Huttel, T. F. (2023). Frei reden dürfen, aber es doch nicht sollen? Zum moralistischen Anspruch der Political Correctness. Zeitschrift für Praktische Philosophie, 9(2), 351–374. https://doi.org/10.22613/zfpp/9.2.15 (Original work published 4. März 2023)

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt: Redefreiheit und Kritik: Müssen wir alles tolerieren, was andere sagen?