Flucht ins Unbefragbare?

Über Demokratiebildung und den Versuch, die Grenzen der Kontroverse im Klassenzimmer zu ziehen

Autor:innen

  • Laura Martena

Schlagworte:

Demokratiebildung, Wertebildung, Debattenkultur, Kontroversitätsgebote, sokratischer Dialog

Key words:

democratic education, value education, debate culture, controversy imperative, socratic dialogue

Abstract

Die Debatte genießt in liberalen Demokratien einen hohen Stellenwert. Das gilt nicht nur für den öffentlichen Raum, sondern auch für den Schulunterricht, der Heranwachsende auf die Teilnahme an dieser Praxis vorbereiten soll. Wie kontrovers soll und darf es im Klassenzimmer selbst aber zugehen? Wie steht es etwa mit antidemokratischen oder illiberalen Positionen? Sollen auch sie kontrovers diskutiert werden, oder sollen die Lernenden hier vielmehr von vornherein zur Übernahme der als legitim vorausgesetzten Position gebracht werden? Wenn ja, auf welche Weise? Diese Fragen werden in der Bildungsphilosophie intensiv diskutiert. Der Beitrag befasst sich mit der sogenannten Kontroverse um Kontroversitätsgebote. Konkret widmet er sich Johannes Drerups Versuch, den Raum der Kontroverse im Klassenzimmer zu eröffnen und zugleich zu begrenzen. Zunächst wird betrachtet, wie er die Grenzen des Diskurses zieht und inwieweit er diese Grenzziehung überzeugend begründet. Dann werden die unterrichtspraktischen Konsequenzen, die er selbst daraus ableitet, und das Konzept eines „direktiven Unterrichtens“ im Kontext ethischer Debatten beleuchtet. Schließlich wird eine alternative Herangehensweise angedeutet: Statt zu versuchen, den Lernenden anhand kontroverser Themen top down einen fixen Wertekanon zu vermitteln, können Lehrpersonen solche Kontroversen auch zum Anlass nehmen, die Wertvorstellungen der Schüler:innen gemeinsam mit ihnen aufzudecken, zu explizieren und kritisch zu durchdenken. Eine solche Praxis dialogischer Wertebildung ist zwar für alle Beteiligten herausfordernder, scheint aber besser zur Idee der Demokratiebildung zu passen.

English version

Debate is highly valued in liberal democracies. This applies to the public sphere as well as school education, which should prepare young people to participate in this practice. But just how controversial should the classroom discussion itself be, and how should anti-democratic or illiberal positions be dealt with? Should they also be discussed controversially, or should learners instead be made to adopt the position assumed to be legitimate from the outset? If so, in what way? These questions are heavily debated in educational philosophy. The article deals with the controversy over teaching controversial issues. Specifically, it is devoted to Johannes Drerup’s attempt to open up and limit the space of controversy in the classroom. First, I consider how he draws and justifies the limits of discourse and the practical consequences he deduces from this demarcation. Then, I explore the concept of ‘directive teaching’ in the context of ethical debates. Finally, I propose an alternative approach: Rather than using controversial issues to try to impose a fixed set of values on students in a top-down way; teachers can use such controversies as an opportunity to work with students to uncover, explain and critically reflect on their own values. Such a practice of dialogical values education is more challenging for all involved, but it seems to fit better with democratic education.

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Zitationsvorschlag

Martena, L. (2023). Flucht ins Unbefragbare? Über Demokratiebildung und den Versuch, die Grenzen der Kontroverse im Klassenzimmer zu ziehen. Zeitschrift für Praktische Philosophie, 10(1). https://doi.org/10.22613/zfpp/10.1.22

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Rubrik

Buchsymposium: Kontroverse Themen im Unterricht